„Ich habe Kopfschmerzen.“ Nicht einmal eine Minute dauerte es, bis ein Schüler mit diesem Kommentar die Simulationsbrille abnahm. Ein Luxus, den sich ein anderer Schüler unserer Klasse nicht leisten kann, da er sehbehindert ist und mit der eingeschränkten Sicht klarkommen muss. Doch was ist das eigentlich: sehbehindert? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, besuchte uns Herr Rahner vom Blindeninstitut Würzburg. Zuerst hielt er einen kleinen Vortrag und erklärte uns einige Dinge über das menschliche Auge. Zum Beispiel, dass blind sein nicht automatisch bedeutet, dass man gar nichts sieht. Oder dass die Sehstärke von 100% sowohl über- als auch unterschritten werden kann – in Abhängigkeit von Alter und genetischen Ursachen. Als Herr Rahner uns erklärte, dass wir einen Mitschüler haben, der 5 % sieht, konnten wir damit nicht viel anfangen. Sein Beispiel war da schon verständlicher. Das, was ein „normal“ sehender Mensch mit Sehstärke 100% auf 10 Meter erkennt, erkennt eine Person mit 5 % Sehstärke erst auf eine Entfernung von 50 Zentimetern. Noch verständlicher wurde es, als wir die Simulationsbrillen aufsetzten, die in etwa das simulieren, was unser Mitschüler sieht. Wir konnten unsere Mitschüler und Lehrer plötzlich nicht mehr am Gesicht erkennen, da wir nichts mehr scharf sahen. Wir erkannten sie an ihren Stimmen, ihren Kleidern (wir merkten uns, wer was trug) oder an körperlichen Auffälligkeiten wie zum Beispiel Größe oder Haarlänge.

Paarweise machten wir anschließend einen Spaziergang durch das Schulhaus und um das Schulgelände. Ein Partner trug die die Simulationsbrille, während der andere aufpasste, dass ihm nichts passierte. Schon nach wenigen Metern kam das erste Hindernis: die Treppe. Am Partner festhaltend, verzweifelt das Geländer suchend und mit den Füßen nach den Stufen tastend schlichen wir uns langsam hinunter. In gemächlichem Tempo ging es weiter. Über den Pausenhof zur Bushaltestelle, von dort auf den Lehrerparkplatz und Verkehrsübungsplatz und anschließend denselben Weg wieder zurück. Die Straße vom Rasen zu unterscheiden war kein Problem, da wir die Farbunterschiede wahrnehmen konnten. Viele andere Dinge bemerkten wir aber nicht. Tannenzapfen auf dem Gras erkannten wir nicht, der Übergang von einem gepflasterten Weg auf eine Treppe war nur schwer zu erkennen und selbst ein heranfahrendes Auto auf dem Weg zum Lehrerparkplatz bereitete Probleme, da wir es gar nicht bzw. es sehr spät bemerkten; wir versuchten, den Busfahrplan zu lesen, doch selbst wenn wir die Nase auf den Plan drückten, war es unmöglich auch nur einen einzigen Buchstaben zu erkennen.

Ohne Simulationsbrille
Als wir wieder im Klassenzimmer waren und die Simulationsbrillen abnehmen durften, waren wir froh, wieder „normal“ sehen zu können. Wir waren aber auch eine Erfahrung reicher, wissen nun ansatzweise, welche Probleme auf einen sehbehinderten Menschen im Alltag warten und haben erfahren, dass blind oder sehbehindert nicht bedeutet, dass man gar nichts mehr sieht, sondern dass es durchaus möglich ist, Farbabstufungen und Konturen zu erkennen.

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