Unterwegs auf neuen Wegen

„Das ist toll! Von 27 Schülerinnen und Schülern haben 27 die Mittlere Reife in der Tasche.“ Am Mittwoch waren die Absolventen der 10. Klasse der Udo-Lindenberg-Mittelschule MELLRICHSTADT an der Reihe, um auf dem wunderschön geschmückten Pausenhof ihre Abschlusszeugnisse in Empfang zu nehmen. Wie bereits am Vortag bei den Neuntklässlern, wurden viele schöne Erinnerungen „eingetütet“ und den jungen Leuten mit auf den Weg gegeben. Nicht nur für sie, sondern auch für ihre Eltern, geht mit dem Ende der Schulzeit ein wichtiger Lebensabschnitt zu Ende.

Wie schon bei der Verabschiedung der Neuntklässler am Vorabend, ging es auch diesmal um Erinnerungen, die in Tüten verpackt sind – negative Erlebnisse in schwarzen, positive Erlebnisse in gelben. Klassenleiter Christian Hemmert (10M) musste leider mit einer schwarzen Tüte beginnen, in die er die Abschlussfahrt nach Hamburg reinsteckte. Sie fiel leider Corona zum Opfer, also gleich mal ab in den Müll mit der schwarzen Tüte. Hemmerts gelbe Tüte platzte schier aus allen Nähten, so viele Erinnerungen befinden sich darin. So etwa die Abschlussfeier am Heimatblick auf der Hochrhön. Der gesittete Ablauf der Feier samt Location („ein echt geiler Platz“) hat den Lehrer echt positiv überrascht.

Von den wunderschönen Hügeln und Tälern der Rhön sprach auch Pfarrer Michael Hofmann (Willmars). Immer, wenn er mit dem Auto die „Ausfahrt Mellrichstadt“ in Richtung Zubringer nach Ostheim nimmt, genießt er das weite Rhön-Panorama in vollen Zügen, verriet der Geistliche: „Meine Lieblingsstelle“. Auch das Bibelwort „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ beinhaltet grenzenlose Freiheit, den eigenen Weg zu gehen, begleitet von Gott. Vor dem Aufbruch sollten die Schüler aber den Proviant aus ihrer Schulzeit nicht vergessen: Freundschaften und den Inhalt ihrer gelben Tüten.

Auch Schulverbandsvorsitzender und Bürgermeister Michael Kraus sprach vom Beginn eines neuen Weges nach Ende der Schulzeit, der „vorerst ein Weg ins Unbekannte“ sei. Wohin wird er führen? Er kann gerade sein, direkt auf ein Ziel gerichtet, vielleicht aber auch sehr verschlungen. Er kann glatt asphaltiert sein oder rau und holprig und es können Steine hineingelegt werden. Möglicherweise endet der Weg auch in einer Sackgasse oder es muss ein Umweg gemacht werden.

Michael Kraus sprach den jungen Menschen Mut zu: „Ihre Eltern und die Udo-Lindenberg-Mittelschule haben Ihnen das nötige Rüstzeug gegeben, als Fahrer am Steuer Ihres eigenen Wagens Ihr Ziel unbeschadet zu erreichen. Sie haben mit der Mittleren Reife einen soliden Grundstock für Ihre Zukunft gelegt und darauf können Sie stolz sein.“ Ein persönliches Anliegen war es dem Stadtchef, auf die Möglichkeiten, die Mellrichstadt bietet, hinzuweisen. Hier gibt es viele interessante Ausbildungsplätze in den verschiedenen Branchen: „Geben Sie unserer Stadt eine Chance.“

Als Vertreter des Elternbeirats sprach Stefan Kümmeth ein Grußwort. Er verglich die Absolventen mit den Oscar-Gewinnern, für die in Los Angeles der rote Teppich ausgerollt wird. Leider sei der rote Teppich für den heutigen Tag ausverkauft gewesen und die Veranstaltung daher nicht ganz so spektakulär, das Erreichte aber aller Ehren wert. „Habt Erfolg und seid zielstrebig auf dem Lebensweg, dazu wünscht der Elternbeirat alles Gute.“

Nach der Abschlussrede von Rektor Achim Libischer (siehe Bericht über die Verabschiedung der 9. Klassen) wollte dieser eine Tatsache nicht unerwähnt lassen: Dass es „so gut lief“ und 27 von 27 Schülern die Mittlere Reife in der Tasche haben, lag nicht etwa daran, dass die Prüfungen im Corona-Jahr leichter ausgefallen sind. „Den Schülern wurde nichts geschenkt, die Anforderungen waren kein bisschen niedriger als in den Vorjahren. Schließlich wurden die Prüfungsaufgaben bereits vor Corona erstellt.“ Aber wie passt das zusammen? Weniger Präsenzunterricht auf der einen Seite und ein so gutes Abschneiden auf der anderen Seite? Ein Hauptgrund war für Libischer die Tatsache, dass durch die Corona-bedingte Klassenteilung der 10M das Lernen in Kleingruppen weitaus intensiver möglich war. Klassenleiter Christian Hemmert bekam mit Konrektorin Melanie Dotzer eine „kampferprobte“ Mitstreiterin zur Seite gestellt, um die Schüler bestmöglich auf ihren Abschluss vorzubereiten. Beide haben einen tollen Job gemacht. Doch vor allem lag es an den Schülern selbst, dass sie heute alle Grund zum Feiern haben: „Ihr habt Fleiß und Ausdauer gezeigt und dem Druck standgehalten.“

Doch offensichtlich hat dieser Druck dem Klassleiter-Team Melanie Dotzer und Christian Hemmert einige Jährchen ihres Lebens gekostet. Ergraut und mit Rollator eroberten beide die Bühne, um bei einer Zeitreise in das Jahr 2065 auf das Corona-Jahr 2020 zurückzublicken. Das waren doch die Kinder, die immer Hunger hatten („könn‘ mer Schoki?“), wenig motiviert und auf Krawall gebürstet waren. „Mensch, da haste ‘ne mords Truppe ‘zamm gehabt“, meinte Dotzer, doch Hemmert sah in der Retroperspektive alles durch die rosarote Brille: „Ich denk‘ gern an diese Schüler zurück. Denn da gab’s wesentlich Schlimmere!“

Dass es diese auch mit ihren Lehrern wesentlich schlimmer hätte treffen können, unterstrich Svenja Recknagel (10M) in launigen Worten. Ihr Dank galt „allen Lehrern, die uns hierhergebracht haben“, insbesondere natürlich Christian Hemmert: „Sie waren ein echt klasse Lehrer, der immer ein offenes Ohr für uns hatte. Auch wenn wir Sie hin und wieder mit Schweigetagen bestraft haben.“ Vor Zeugen nahm sie dem „Hämmäd“ schließlich das Versprechen ab, die ganze Klasse zum Grillen zu sich nach Hause einzuladen. Wie hätte er dieser charmant vorgetragenen Bitte widersprechen können? Zumal er wie auch Melanie Dotzer von den Schülern mit originellen Geschenken bedacht wurden.

Vor der feierlichen Zeugnisübergabe ehrte Rektor Achim Libischer mit Luca Atzori den Jahrgangsbesten, der bei seiner Mittleren Reife eine „herausragende Leistung“ ablieferte. Zahlreiche Absolventen haben während ihrer Schulzeit an der Udo-Lindenberg-Mittelschule aber auch andere Leistungen gezeigt, die in Zeugnisnoten nicht messbar seien. Der Dank des Rektors galt zuletzt allen, die sich ehrenamtlich bei den Theaterprojekten, im Chor, im Schülercafé, etc. engagiert haben: „Dinge, die wichtig sind, damit die Schule lebt!“       

So setzten auch die Musikbeiträge von Anne Abe (Klavier), Nathalie Last (Gesang), Till Herbart (Gitarre und Gesang) auf beide Feierstunden das i-Tüpfelchen drauf (Leitung: Bastian Reukauf). Zum krönenden Abschluss gab’s „Applaus, Applaus“ von den Sportfreunden Stiller, dargeboten von Joel Fritzges mit der Geige. Ein besonderer Schlussakkord für einen „mit Abstand“ besonderen Jahrgang, der dafür gesorgt hat, dass auch die gelben Tüten von Schulleitung und Lehrern prall gefüllt sind mit schönen Erinnerungen an ein Schuljahr, das niemand so schnell vergessen dürfte.

 

Text:   Streutal-Journal / Carmen Hahner