Tütenweise schöne Erinnerungen

Heuer war alles anders bei der Entlassfeier der Udo-Lindenberg-Mittelschule in MELLRICHSTADT. Anders vor allem deshalb, weil es im Corona-Jahr 2020 gleich zwei Stück davon gab, aufgeteilt in die 9. und 10. Jahrgangsstufe. An beiden Abenden fand die feierliche Zeremonie der Zeugnisübergabe unter freiem Himmel statt. Der festlich geschmückte Pausenhof bot nicht nur genügend Platz, sondern ein solch schönes Ambiente, dass Schulleiter Achim Libischer bereits überlegt, ob man das künftig nicht so beibehalten sollte. Für die liebevolle Gestaltung galt allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön.

Am Dienstag waren die 9. Klassen dran. Wobei an diesem Abend tatsächlich nur die Absolventen im Rampenlicht standen, für die mit dem Verlassen der Schule ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Eine Einladung derjenigen, die der Schule weiter erhalten bleiben, um den „M-Zweig“ dranzuhängen, war aus Platzgründen leider nicht möglich. 

Bei der Verabschiedung wurden keine Koffer, sondern Tüten gepackt. Leuchtend gelbe Tüten voll schöner Erinnerungen, ohne die die Klassenleiter Sandra Sebald (9a), Thorsten Demling (9b) und Manuel Schmidt (9P) ihre Schüler nicht gehen lassen wollten. Symbolträchtige Dinge wanderten da hinein wie z. B. etwa eine Robbe – zum Andenken an das Hygienespray „Robbyrob“, welches während der Corona-Krise zum Einsatz kam. Die Aufforderung „Hol mal die Robbe“ wurde zum Running Gag – ein Symbol dafür, dass sich schwierige Situationen leichter ertragen lassen, wenn man sie mit Humor nimmt, so Demling. Zweifelsohne eine super Erinnerung für die gelbe Tüte.

Die religiöse Einstimmung auf die Feierstunde übernahm Pfarrer Michael Hofmann (Willmars), der seiner Ansprache das Bibelwort „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ zugrunde legte. Wo tragen die Füße wohl hin? In welche Orte, durch welche Täler? Der Geistliche wünschte den jungen Menschen, dass sie ihren Weg nicht alleine gehen müssen, sondern dabei begleitet werden – nicht zuletzt durch Gott.

Mit den Worten „die Würdigung Ihres Schulabschlusses ist zu wichtig, um kommentarlos im Corona-Alltag unterzugehen“ gratulierte der Schulverbandsvorsitzende und Bürgermeister Michael Kraus den Absolventen im Namen der Stadt Mellrichstadt. Absolventen eines Jahrgangs, der unfreiwillig Geschichte geschrieben hat: „Seit 1945 hat es keinen Abschlussjahrgang wie den Ihren gegeben.“ Sich selbstständig vieles erarbeiten zu müssen, sei sicherlich nicht immer einfach gewesen, doch auch unter diesen schwierigen Bedingungen haben die Schüler ihr Ziel erreicht: „Hut ab!“

Im Namen des Elternbeirats richtete Elisabeth Landgraf ein Grußwort an die Neuntklässler. Mit Wehmut meinte sie, dass sich auch für die Eltern nun vieles ändert. Es müssen keine Pausenbrote mehr geschmiert, keine Turnbeutel mehr nachgefahren und keine Vokabeln mehr abgefragt werden. Jetzt gehen die Kinder ihren eigenen Weg. Und sollten, falls sie mal stolpern, immer daran denken: „Aufstehen, Krone richten, weitergehen.“

Mit einer Spielszene leiteten einige Schüler zur Abschlussrede des Schulleiters über. Ein junger Mann hat im Krieg alles verloren – Besitz, Wohnung, Familie: „Alles weg!“ Geblieben ist ihm einzig und allein die alte Küchenuhr, die zwar nicht mehr funktioniert, die er aber dennoch wie einen Schatz hütet. Was will der Libischer jetzt mit einer alten Nachkriegsgeschichte? Seiner Meinung nach handelt es sich um eine wunderschöne „Mut-Mach-Geschichte“, die deutlich macht, dass es die Kleinigkeiten des alltäglichen Lebens sind, die dieses erst wertvoll machen.

Ausgerechnet um halb drei in der Nacht ist die Uhr stehen geblieben. Um diese Zeit hatte ihn stets die Mutter mit den Worten „So spät wieder!“ in der Küche empfangen, noch ein Brot geschmiert, alles war so völlig normal. Erst als diese Normalität von einem Tag auf den anderen im Bombenhagel verloren ging, bemerkte der 20-Jährige, dass sie das Paradies für ihn war.

Achim Libischer zog Parallelen zur Corona-Krise: „Alle lebten vor sich hin, bis das mächtige Virus kam, das alles mit sich nahm.“ Nur wer einen triftigen Grund hatte, durfte das Haus verlassen, Freunde nicht mehr treffen, nicht mehr zur Schule gehen. Dafür rückte etwas in den Mittelpunkt, was zuvor selbstverständlich schien: Die Gesundheit, auch die von Eltern und Großeltern, als höchstes Gut. Die Zwangs-Schulpause kam manch einem zunächst ganz gelegen, doch irgendwann wurde das Rumhängen zur Qual. Groß war die Erleichterung beim Wiedersehen in der Schule, „da ist irgendwas passiert“, so Libischer. Was können wir aus der Corona-Krise lernen? Libischer wünschte den Schülern, dass sie das Besondere erkennen, das im Alltag steckt – „und vielleicht schaffen wir‘s weiter, mal runterzufahren und zu genießen.“    

Einen „Genuss“ haben ihm auch die Ergebnisse der Neuntklässler beschert. Rektor Achim Libischer konnte sich über eine super Quote von über 80 Prozent beim „Quali“ freuen (die Zusatzprüfung haben 34 von 42 Absolventen erfolgreich abgelegt), was auch ein großer Verdienst ihrer engagierten Pädagogen gewesen sei. Besonderer Dank und Beifall galt Lehrer Markus Hartmann, der nach der Corona-bedingten Klassenteilung von 9a und 9b als „Dritter im Bunde“ ins Klassenleiter-Team mit eingestiegen ist.   

Lisa Tradt (für die 9a und 9b) und „Rednergott“ Luis Zachmann (für die 9P) bedachten ihre Lehrer mit lobenden Worten. Für Sandra Sebald und Thorsten Demling gab’s eine Efeu-Pflanze, deren Blätter so unterschiedlich wachsen wie die Schüler waren. Die beiden Klassenleiter bedankten sich für die „chaotischen, tollen Jahre“ mit einem Sketch, bei dem so manches Geheimnis der Abschlussfahrt nach Berlin gelüftet wurde (oder auch nicht). Die Pädagogen nahmen sich dabei herrlich selbst auf die Schippe und wünschten zum Abschied: „Macht euer Ding und füllt weiter gelbe Tüten!“

Manuel Schmidt, Leiter der Praxisklasse (unterstützt vom Sozialpädagogen Martin Beck), bezeichnete die Leistungen seiner Schüler als „ganz großes Kino“. In seiner 27-jährigen Laufbahn habe er noch nie erlebt, dass Schüler ihre Hausaufgaben zu 99,9 Prozent zuverlässig erledigen. „Echt cool“ fand er es auch, wie man sich gegenseitig geholfen habe. Alle seine Schüler hätten sich persönlich weiter entwickelt zu selbstständigen Persönlichkeiten. Mit nonverbaler Zeichensprache drückte Manuel Schmidt seinen Respekt aus. Hatten ihn seine Schüler da sprachlos zurückgelassen?

Nach einem Sonderapplaus für die Klassenbesten (9a: Lisa Tradt, 9b: Marcel Braun, 9P: Luis Zachmann) war für die jungen Leute nun der große Moment gekommen: Die Übergabe ihrer Abschlusszeugnisse, verpackt in ansprechenden Mappen mit Porträtfoto obendrauf. Ein feierlicher Moment. Feierliche Musik gab’s an beiden Abenden auch auf die Ohren. „Wünsch dir was“ sang Nathalie Last. Viele gute Wünsche haben die Schulabgänger mit auf den Weg bekommen. Nun liegt es an ihnen selbst, diese umzusetzen. 

 

 

Text:   Streutal-Journal / Carmen Hahner