Aufruf zu Respekt und Toleranz: „Projekt Lindenberg“ begeistert in der ausverkauften Oskar-Herbig-Halle
Mellrichstadt. (ch) Eigentlich ist doch schon alles gesagt: Udo Lindenberg soll Namenspate der Mittelschule Mellrichstadt werden, obwohl er ein nuschelnder Alkoholiker ist, weder Abitur noch einen lokalen Bezug besitzt und zu allem Überfluss auch noch ein laufendes Strafverfahren wegen unerlaubten Waffenbesitzes an der Backe hat. Aber der Schulleitung scheint der gute Ruf der Schule egal zu sein – was denken die sich eigentlich dabei?
Eine ganze Menge denken die sich und es ist auch längst nicht alles gesagt! Daher wären insbesondere alle Kritiker und Zweifler gut beraten gewesen, dem „Projekt Lindenberg“, welches die Mittelschule Mellrichstadt an zwei Abenden als Schulfest auf die Bühne der Oskar-Herbig-Halle brachte, beizuwohnen. Warum Udo? Die beste Antwort darauf hatten die über 150 mitwirkenden Kinder verschiedenster Herkunft gemeinsam mit der Schulband unter der Leitung von Walter Bortolotti parat. Mit Begeisterung schwammen sie „gegen die Strömung“ und rannten „gegen den Wind“.
Während der gut zweieinhalbstündigen Aufführung wurde überdeutlich, dass sie die Werte, für die Lindenberg seit über 40 Jahren steht, inzwischen verinnerlicht haben – Frieden, Menschlichkeit, Mut und die Rechte von Minderheiten. Sie erhoben gemeinsam die Stimme gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Hass und Hetze. Dieses Gemeinschaftsgefühl schwappte auf das begeisterte Publikum über, welches sich dafür am Ende mit „Standing Ovations“ bedankte.
Zuvor durften einige einleitende Worte natürlich nicht fehlen. Konrektor Achim Libischer betonte, dass der Abend nichts mit der Namensgebung zu tun habe, sondern dazu dienen solle, die Gedanken, die hinter der Idee stecken, zu präsentieren. Zu seiner großen Verwunderung gab es kaum differenzierte Nachfragen nach den Hintergründen, ausgerechnet Udo Lindenberg als pädagogische Leitfigur zu wählen. So entstand das „Projekt Lindenberg“ aus der Motivation heraus: „Wenn uns schon keiner fragt, dann gehen wir eben selbst an die Öffentlichkeit.“
Libischer gab zu bedenken, dass an der Mittelschule Mellrichstadt momentan ca. 50 Flüchtlingskinder im Alter von elf bis 16 Jahren unterrichtet werden, was von allen Schülern und Lehrern ein hohes Maß an Empathie, Toleranz und Respekt verlange. „Wir werden immer vielschichtiger und bunter, multireligiös und multiethnisch und warum wir glauben, dass uns Lindenberg als Orientierungsperson in dieser Situation helfen kann, das werden wir heute Abend vorstellen.“
Ein verständnisvoller Umgang miteinander in einer „Bunten Republik Deutschland“ ist auch Schulleiter Egon Bauß eine Herzensangelegenheit: „Genauso wie es nicht nur die Farben schwarz und weiß gibt, sondern unendlich viele Abstufungen zwischen den beiden Extremen, so ist es auch mit den Menschen: Man findet nicht diesen makellosen Vorzeigetyp, der sich in allen Lebensbereichen über sein komplettes Dasein hinweg immer vorbildlich verhält“, meinte er in Bezug auf Lindenbergs Skandale und Krisen, sein Fallen und Wieder-Aufstehen.
Bürgermeister Eberhard Streit in seiner Funktion als Schulverbandsvorsitzender positionierte sich nochmals klar für die Umbenennung der Mittelschule Mellrichstadt in die „Udo-Lindenberg-Mittelschule“, die ja nach wie vor nicht vom Tisch ist (wir berichteten). Diese beweise seit langem, dass sie weit mehr ist als eine „Rest-Schule“, wie das von Hauptschulen oft behauptet wird. Gerade hier, wo es eben nicht immer um den geraden Weg geht, wo Schüler auch kämpfen müssen, dass sie nicht abstürzen, wo Starke mit Schwachen fair umgehen müssen, wo Schwache sich nicht gleich als Verlierer sehen sollen und wo nun auch noch die Vielfalt der Kulturen zusammenkommt, tauge eine Person, die ihre „zweite Chance“ erfolgreich genutzt hat, hervorragend als Beispiel für Menschen, die in ihrem Leben ebenfalls eine zweite oder gar dritte Chance brauchen.
Die Reise durch das Leben und Werk von Lindenberg, der am 17. Mai 1946 – ganz ohne Brille, Hut und als Nichtraucher – geboren wurde, begann mit einer Szene (dargestellt von der Theater-AG) aus seinem Elternhaus in Gronau, wo er schon als „Kleiner Junge“ (Malvin Schuldt) angesichts des Hungers in der Welt feststellt: „So ein Wahnsinn! Mutter, wir müssen was tun!“
Udo beschließt, ein „Trommler für den Frieden“ (Schlagzeugsolo: Mauritz Küchler) zu werden, ehe er (dargestellt von Tamara Mangold)endgültig „die Schnauze voll hat von allem“ und nach London abhaut, um am Ende festzustellen: Ich bin selbst dafür verantwortlich, in welche Richtung sich mein Leben entwickelt und was ich daraus mache!
Zu diesem Mut fordert Lindenberg in seinen Liedern immer wieder auf, doch auch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gehörten schon in den 80er-Jahren zu seinen zentralen Themen. Betretene Stille machte sich breit, als Lucas Voit von über 700 Angriffen auf Flüchtlingsheimen im vergangenen Jahr berichtete und es laut hinaus rief: „Bei uns zählt jeder gleich viel, die Mellrichstädter Mittelschule sagt ganz klar ‚Nein‘ zur Ausländerfeindlichkeit!“
Und dann war da noch Hassan Hessan, der vor sechs Monaten von Afghanistan aus Zuflucht in Deutschland gefunden hat und mit einem selbst komponierten Lied, „unplugged“ dargeboten mit Gitarre und Gesang, zu Tränen rührte. „Er wollte nach Deutschland“, dieses Lindenberg-Lied stammt – man höre und staune – bereits aus dem Jahr 1982 und ist heute aktueller denn je. Passend dazu schilderten die beiden Flüchtlingskinder Aya und Omar Bakri aus Syrien, mit zitternden Händen und leiser Stimme an den Mikrofonen, was es eigentlich bedeutet, vor Terror, Gewalt und Krieg fliehen zu müssen.
Da stellt sich einem jeden zuletzt doch die Frage: „Wozu sind Kriege da?“ Den emotionalsten Moment hatte man sich für den Schluss aufbewahrt, spätestens nun war wohl niemand mehr im Saal zu finden, der nicht von einer Gänsehaut überzogen gewesen wäre – dazu musste man Lindenberg noch nicht einmal mögen, geschweige denn ein Fan sein. Ergreifend. Großartig.
Das letzte Wort hatte aber schließlich Udo Lindenberg selbst. Von der großen Leinwand herab, bekundete der Panikrocker via Videobotschaft seinen Respekt für die Orientierung dieser Schule, die eine Schule gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sei. „Das können wir noch befeuern mit unseren Songs, unseren Shows und mit uns. Viele Leute kriegen das dann mit und ihr powert das dann auch noch entsprechend und das ist sehr, sehr gut!“
Fest steht, dass der „Patenonkel“ (in spe) am „Projekt Lindenberg“ seine helle Freude gehabt hätte und verdammt stolz gewesen wäre auf sein „Patenkind“. Doch schließlich ist aufgeschoben ja nicht aufgehoben. „Bleibt am Ball und geht euren Weg konsequent weiter“ – so äußerten sich im Hinausgehen nicht zuletzt auch Schulamtsdirektor Klaus Jörg und Schulrat Walter Volkmuth gegenüber Rektor Egon Bauß, der feststellte: „Glauben Sie mir, ich bin seit 40 Jahren Lehrer, habe eine solche Dynamik und Eigeninitiative von Schülern aber noch nie erlebt!“
Text und Bilder: Carmen Hahner