Gelebter Geschichtsunterricht an der Udo-Lindenberg-MIttelschule

Es ist erstaunlich und beeindruckend, was für eine Kreativität der Geist Udo Lindenbergs in der Mellrichstädter Mittelschule auslöst. Dort entstand ein Theaterstück mit dem Titel „Unterm selben Stern“, das dreißig Jahre nach dem Mauerfall ein Zonengrenzdrama aufgreift, welches nach einer realen Stasi-Akte entstand und eine Liebesgeschichte beinhaltet. Schulleiter Achim Libischer griff daraufhin selbst zur Feder und schuf daraus ein Theaterstück mit musikalischen Zwischenspielen, das am Donnerstagabend in der vollbesetzten Oskar-Herbig-Halle uraufgeführt und mit stehenden Ovationen und Jubelrufen vom begeisterten Publikum bedacht wurde. Am Tag darauf wurde das beeindruckende Schauspiel wiederholt und nicht minder stark bejubelt.

Es gab zwar viele Protagonisten, die diese Theateraufführung ermöglichten, doch der Ideengeber und Autor dieses Projekts, Achim Libischer, legte Wert auf die Feststellung, dass die Stars des Abends die hundert mitwirkenden Schülerinnen und Schüler waren. Er wurde natürlich auch sehr gelobt, betonte aber, dass es ein Gemeinschaftsprojekt seines gut harmonierenden Lehrerkollegiums ist, welches die Jugendlichen hingebungsvoll und sehr einfühlsam auf die Umsetzung vorbereitet hat. Das war „gelebter Geschichtsunterricht“. Professionelle Hilfe bekamen sie zeitweise auch von Theaterpädagogin Julika Kren vom Theater Maßbach.

Dass die jungen Künstler ihre Rollen als Schauspieler, Sänger, Musiker und Tänzer mit Begeisterung auslebten, ist nicht nur daran zu erkennen, dass sie alles außerhalb ihres Schulunterrichts einübten, ihr Antrieb war auch volle zwei Stunden lang während der Aufführung zu sehen und zu spüren.

Die reale Handlung hatte sich im echten Leben tatsächlich vor gut dreißig Jahren im Raum Oberfranken/Thüringen abgespielt, wurde aber im Theaterstück in die Orte Meiningen und Mellrichstadt verlegt, wo das junge Liebespaar die Namen Uwe und Marion erhielt. Sie hatten sich im Zuge von Verwandtenbesuchen im kleinen Grenzverkehr kennen- und lieben gelernt, sich Liebesbriefe geschrieben und nur selten gesehen. Die Sehnsucht füreinander wurde immer größer und führte bei Uwe zu einem Fluchtversuch.

Libischer hatte den historischen Stoff absichtlich stark auf die emotionale Ebene und mit lokalem Bezug reduziert, um das Drama szenisch gut spielbar zu machen und für die Schüler dennoch die tragische politische Brisanz der deutschen Teilung nachvollziehbar zu machen. Denn was der Autor noch selbst miterlebt hat, ist für die heutige Jugend schon weit weg und nur noch schwer nachvollziehbar, für nicht wenige sogar von untergeordnetem Interesse.

Die szenischen Darstellungen begannen mit einem Videoclip, aufgenommen im Skulpturenpark an der Goldenen Brücke (auf der Schanz), an der zwei Schüler die heutige Marion treffen, die im Gespräch von ihrer unvollendeten Liebesgeschichte erzählte und damit das Interesse an diesem Fall erst weckte. Dann folgte in sieben sehr gut dargestellten Spielszenen die Aufführung der Liebesgeschichte ohne Happyend, beginnend mit der Briefkontrolle in einem Stasibüro. Ein Stasioffizier las den ersten Liebesbrief vor.

Mit vielen weiteren Details wurde veranschaulicht, was in den Zeiten des Kalten Kriegs hochbrisant war, wie man sich mit politischer Propaganda gegenseitig das Leben schwer machte und misstrauisch beäugte, mit welchen brutalen Mitteln die DDR Republikflucht verhindert hatte und wie die gefürchtete Stasi den Menschen das Leben schwer machte, Karrieren und Menschenleben zerstörte.

Die DDR-Jugend durfte viele ihrer Vorlieben nicht ausleben, Ost-West-Beziehungen waren unerwünscht. Sogar Musikkassetten und Schallplatten aus dem Westen waren verboten. Trotzdem war es Marion gelungen, eine Musikkassette zu Uwe zu schmuggeln. Das Abspielen zweier Rocknummern von AC/DC und KISS wurde zu einer kurzen Tanzparty ausgebaut, in der Schülerinnen der zehnten Klasse einen fetzigen Showtanz auf die Bühne zauberten.

Nach der Szene mit dem Liebesbrief, den Marion erhielt, hatte der Schulchor unter der Leitung von Kerstin Sauer seinen ersten Auftritt mit dem emotionalen Song „Kompliment“ von Sportfreunde Stiller, der Liebesbezeugungen beschreibt. Sauer dirigierte auch eine Szene später das Mädchen-Septett beim Vortrag des Karat-Klassikers „Albatros“. Begleitet wurden alle Gesangsstücke vom Schulorchester unter der Leitung von Bastian Reukauf.

Albatros stand wie ein Symbol auf Uwes Mütze, denn er wollte ebenso frei sein wie dieser gefiederte Meistersegler. Deshalb und aus Liebe zu Marion entschloss sich der Jugendliche zur Republikflucht, welche nach DDR-Lesart ein Kapitalverbrechen war. Alle gut gemeinten Argumente seiner Familie und Freunde hielten ihn nicht davon ab.

Sein nächtlicher Fluchtversuch wurde spannend als Video eingespielt und endete mit einem Knall. Erst die nächste Spielszene mit einem gewissensgeplagten Grenzsoldaten („Ich habe auf ein Kind geschossen!“) offenbarte neben dessen Psychotrauma, dass er zwar nicht getroffen hatte, Uwe bei seinem Weglaufversuch aber auf eine Mine getreten war, die sein Bein zerfetzte.

Er landete als „verkrüppelter Albatros im Jugendknast“. Seine Eltern mussten wegziehen. Das war der Anfang vom Ende der Liebesgeschichte, denn obwohl Marion trotz der schweren Verletzung mit Uwe zusammenleben wollte, wurde der Kontakt durch die DDR gekappt und Marion bekam ihren Uwe dann nicht mehr zu sehen, wie man aus der letzten Videosequenz, aufgenommen an der Goldenen Brücke, erfuhr. Die heutige Marion besucht gerne die heutige Grenze mit dem Skulpturenpark, weil er ein Symbol für den Frieden bei uns ist, während anderswo auf der Erde immer noch Krieg, Vertreibung und Flucht nicht enden wollen. Dazu passte das Lied von Udo Lindenberg „Komm wir zieh’n in den Frieden“. Das Schauspiel war damit zu Ende, nicht aber das ganze Programm.

Denn es gab noch ein paar wichtige Botschaften im Saal zu verkünden, die in zwei Schlussworten zum Ausdruck kamen sowie in zwei weiteren Liedvorträgen, an denen alle Schüler beteiligt waren. Nun kam auch die Udo-Lindenberg-Stiftung ins Spiel, die Hilfe in Afrika leistet. Der Schüler Aaron Schneider verkündete, dass das nächste Projekt der Schule eine Schulpartnerschaft mit einer kenianischen Schule sein wird, die man auch finanziell unterstützen will. Dafür bat er um eine Spende, denn der Eintritt zum Theaterabend war frei gewesen.

Libischer sprach noch ein paar nachdenkliche und bewegende Schlussworte in Bezug auf die Lehren vergangener Kriege für die Gegenwart und gab seiner Freude Ausdruck, dass die Aufführung so gut gelungen war. Dafür dankte er seiner Theater-AG und den Hauptstützen Nadine Büttner (Regiechefin), Nadine Bachmann (Regie, Ausstattung und Souffleuse), Simone Haupt (Grafik & Design), Kerstin Sauer (musikalische Leitung) und Bastian Reukauf (Schulorchester), um nur die wichtigsten zu nennen. Und er lobte seine Schüler, die vor allem „diesen Abend gerockt haben“. Eine Schülerabordnung gab das Lob an den Chef zurück und bedankte sich mit einem Geschenk.

Eigentlich sollte das Abschlusslied das „Feuerwerk“ von Wincent Weiss sein, doch die begeisterten Zuschauer, darunter auch die Ehrengäste Eberhard Streit (Bürgermeister und Schulverbandsvorsitzender) und Peter Suckfüll (Stellvertretender Landrat), verlangten stehend applaudierend eine Zugabe, die ihnen mit Lindenbergs „Du machst dein Ding!“ gewährt wurde. Dreißig Jahre nach dem Mauerfall hat die Schule so ein tolles Ding abgeliefert, dass selbst der Bayerische Rundfunk mit einem Fernseh- und einem Radioteam den Weg nach Mellrichstadt fand und darüber gestern in der Frankenschau und im Mainfranken Mittagsmagazin von Bayern 1 berichtete.

 

 

Text und Bilder: Georg Will, Mainpost